Zum Anspruch des Arbeitnehmers auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zu einem Personalgespräch

BAG, Beschluss vom 16.11.2004 – 1 ABR 53/03

Aus § 82 Abs 2 Satz 2 BetrVG kann sich ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zu einem Personalgespräch über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags ergeben. Der Anspruch besteht jedoch nicht in allen denkbaren Fallgestaltungen. Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 19. September 2003 – 6 TaBV 3/03 – wird zurückgewiesen.


Gründe

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A. Die Beteiligten streiten über die Hinzuziehung von Betriebsratsmitgliedern zu Personalgesprächen über den Abschluss von Aufhebungsverträgen.

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Bei der Arbeitgeberin, einem Verlagsunternehmen, schieden von August 2001 bis Februar 2002 mehrere Arbeitnehmer durch Aufhebungsvertrag aus. Zu den jeweils vorausgegangenen Personalgesprächen wurden Betriebsratsmitglieder nicht hinzugezogen. Bei einem derartigen Anfang August 2001 mit der Arbeitnehmerin R. geführten Gespräch lehnte die Arbeitgeberin den Wunsch der Mitarbeiterin nach Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds ausdrücklich ab.

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Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin müsse solchen Wünschen entsprechen. Das folge aus § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG.

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Der Betriebsrat hat, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung, beantragt

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festzustellen, dass die Arbeitgeberin nicht berechtigt ist, die Hinzuziehung eines Mitglieds des Betriebsrats zu einem Personalgespräch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag zwischen einem Personalverantwortlichen oder einem Arbeitnehmer mit Vorgesetztenfunktion und einem/einer Arbeitnehmer/in zu unterbinden, sofern der/die Arbeitnehmer/in die Hinzuziehung verlangt hat.

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Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat ihn bereits für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet gehalten.

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Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat den Antrag weiter. Die Arbeitgeberin bittet um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

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B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben den Antrag des Betriebsrats im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Arbeitnehmer haben nicht in allen denkbaren Fallgestaltungen einen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zu einem Personalgespräch über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags.

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I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig.

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1. Er ist hinreichend bestimmt im Sinne des auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es handelt sich um einen sog. “Globalantrag”, der eine Vielzahl künftig möglicher Fallgestaltungen erfasst. Dies steht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Bestimmtheit des Antrags nicht entgegen, sondern ist im Rahmen seiner Begründetheit zu beachten (vgl. etwa BAG 3. Mai 1994 – 1 ABR 24/93BAGE 76, 364, 368 = AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 23 = EzA BetrVG 1972 § 23 Nr. 36, zu II A der Gründe; 20. Oktober 1999 – 7 ABR 37/98 -, zu B I 1 b bb der Gründe; Fitting Nach § 1 Rn. 24).

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2. Der Betriebsrat besitzt die erforderliche Antragsbefugnis. Er ist befugt, die streitige, sich aus § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ergebende Rechtsposition der Arbeitnehmer im Verhältnis zur Arbeitgeberin feststellen zu lassen. Er handelt insoweit im Rahmen einer sich aus § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ergebenden gesetzlichen Prozessstandschaft.

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a) Die Antragsbefugnis ist im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren Sachentscheidungsvoraussetzung. Ihr Vorliegen ist auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen. Das Erfordernis dient dazu, Popularanträge auszuschließen. Es soll verhindert werden, dass “jedermann” die Arbeitsgerichte in Verfolgung fremder Rechte anrufen kann. Voraussetzung der Antragsbefugnis im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist grundsätzlich, dass der Antragsteller eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechte behauptet. Dem Betriebsrat fehlt daher die Antragsbefugnis in der Regel, wenn er ausschließlich Rechte der Arbeitnehmer reklamiert (vgl. etwa BAG 18. Februar 2003 – 1 ABR 17/02BAGE 105, 19, 29 = AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 4, zu B III 2 a der Gründe mwN).

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Besonderheiten gelten dann, wenn das Betriebsverfassungsgesetz Rechte einzelner Arbeitnehmer mit kollektivem Bezug begründet. Dies folgt aus § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Diese Vorschrift begründet in Fällen, in denen der Arbeitgeber seine Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz grob verletzt, die Antragsbefugnis des Betriebsrats unabhängig von dessen materiellrechtlichen Positionen. Es besteht insoweit eine gesetzliche Prozessstandschaft des Betriebsrats ebenso wie der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften (vgl. DKK-Trittin § 23 Rn. 88; ErfK/Eisemann § 23 BetrVG Rn. 27; Fitting § 23 Rn. 69; Oetker GK-BetrVG § 23 Rn. 187; Thüsing in Richardi BetrVG § 23 Rn. 95; HSWG § 23 Rn. 60). § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG dient dazu, ein gesetzmäßiges Verhalten des Arbeitgebers im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung sicherzustellen (vgl. BAG 20. August 1991 – 1 ABR 85/90BAGE 68, 200, 208 f. = AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 41, zu B II 2 der Gründe; DKK-Trittin § 23 Rn. 67; Fitting § 23 Rn. 51; Oetker GK-BetrVG § 23 Rn. 122). Zu dieser gehören auch die im Betriebsverfassungsgesetz begründeten Rechte der einzelnen Arbeitnehmer, soweit die entsprechenden Verpflichtungen des Arbeitgebers auf Grund ihres kollektiven Bezugs in die betriebsverfassungsrechtliche Organisation eingebunden sind.

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Der sich aus § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ergebende Anspruch der Arbeitnehmer auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds stellt für den Arbeitgeber eine Verpflichtung aus dem Betriebsverfassungsgesetz dar, bei deren grober Verletzung der Betriebsrat nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG vorgehen kann (vgl. Wiese GK-BetrVG § 23 Rn. 167, 187; ErfK/Eisemann § 23 Rn. 24; Fitting § 23 Rn. 60; Thüsing in Richardi BetrVG § 23 Rn. 91; offen gelassen in BAG 23. Februar 1984 – 6 ABR 22/81AP BetrVG 1972 § 82 Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 82 Nr. 2, zu III der Gründe). Zwar begründet § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ein Recht des einzelnen Arbeitnehmers (vgl. BAG 23. Februar 1984 aaO). Die Verpflichtung des Arbeitgebers, dieses Recht des Arbeitnehmers zu achten, folgt aber aus dem Betriebsverfassungsgesetz (vgl. Wiese GK-BetrVG § 82 Rn. 25; Thüsing aaO). Das ist konsequent, denn die Verpflichtung hat einen kollektiven betriebsverfassungsrechtlichen Bezug. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Anspruch des Arbeitnehmers nicht auf die Hinzuziehung eines betriebsfremden Dritten, sondern eines Betriebsratsmitglieds gerichtet und damit in seinem Bestand und Umfang in die betriebsverfassungsrechtliche Organisation eingebunden ist. Der kollektive Bezug wird dadurch verstärkt, dass der Anspruch Gespräche nach § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG betrifft, in denen es jedenfalls auch um die Möglichkeit der beruflichen Entwicklung im Betrieb geht. Dadurch sind regelmäßig zugleich die Interessen anderer Arbeitnehmer berührt. Sollte der Entscheidung des Sechsten Senats vom 23. Februar 1984 (aaO) die Beurteilung zu entnehmen sein, der Anspruch des Arbeitnehmers nach § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG berühre die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung überhaupt nicht, hält der für das materielle Betriebsverfassungsrecht mittlerweile allein zuständige erkennende Senat hieran nicht fest.

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b) Hiernach ist der Betriebsrat antragsbefugt. Allerdings begehrt er nicht die Feststellung eines eigenen Rechts. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und allgemeiner Auffassung im Schrifttum begründet § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG nur einen Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers und räumt dem Betriebsrat keine eigene Rechtsposition gegenüber dem Arbeitgeber ein (vgl. BAG 24. April 1979 – 6 AZR 69/77AP BetrVG 1972 § 82 Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 82 Nr. 1, zu I 1 der Gründe; 23. Februar 1984 – 6 ABR 22/81AP BetrVG 1972 § 82 Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 82 Nr. 2, zu II 3, III der Gründe; Wiese GK-BetrVG § 82 Rn. 25; Thüsing in Richardi BetrVG § 82 Rn. 19). Dementsprechend geht es dem Betriebsrat vorliegend um die Feststellung fremder Rechte. Er will eine Rechtsposition der Arbeitnehmer aus § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG gegenüber der Arbeitgeberin gerichtlich feststellen lassen. Hierzu ist er jedoch, wie ausgeführt, auf Grund seiner Prozessstandschaft nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ausnahmsweise befugt.

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3. Der Betriebsrat besitzt an der begehrten Feststellung das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse. Die Arbeitgeberin bestreitet ihre Verpflichtung, zu Personalgesprächen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags auf Wunsch des Arbeitnehmers die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zu gestatten. Es handelt sich um einen Konflikt, der jederzeit erneut auftreten kann. Dem Feststellungsinteresse steht nicht etwa der Grundsatz der Subsidiarität des Feststellungsantrags entgegen (vgl. dazu BAG 15. Dezember 1998 – 1 ABR 9/98BAGE 90, 288, 293 f. = AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 56 = EzA BetrVG 1972 § 80 Nr. 43, zu B I 3 der Gründe). Der Betriebsrat kann vorliegend schon deshalb nicht mit Aussicht auf Erfolg im Wege eines Unterlassungsantrags nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG vorgehen, weil es auch nach seiner eigenen Beurteilung wegen der noch ungeklärten Rechtslage jedenfalls an einer groben Pflichtverletzung der Arbeitgeberin fehlt. Er muss daher die Möglichkeit haben, zunächst das Bestehen der streitigen Pflicht im Wege eines Feststellungsantrags gerichtlich klären zu lassen, um im Falle einer nach entsprechender Feststellung begangenen Pflichtverletzung unmittelbar nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG vorgehen zu können. Andernfalls wäre er dauerhaft außer Stande, etwaige Verstöße des Arbeitgebers gegen die sich aus § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ergebenden Pflichten zu unterbinden.

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II. Der Antrag des Betriebsrats ist nicht begründet. Die von ihm behauptete Verpflichtung der Arbeitgeberin besteht nicht in allen erfassten Fallgestaltungen. Der einzelne Arbeitnehmer hat keinen generellen Anspruch darauf, zu jedem Personalgespräch über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen.

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1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein sog. Globalantrag, der einschränkungslos eine Vielzahl möglicher Fallgestaltungen erfasst, grundsätzlich als insgesamt unbegründet abzuweisen, wenn unter ihn zumindest auch Sachverhalte fallen, in denen sich der Antrag als unbegründet erweist (vgl. etwa BAG 3. Juni 2003 – 1 ABR 19/02AP BetrVG 1972 § 89 Nr. 1 = EzA BetrVG 2001 § 89 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 2 a der Gründe mwN; Fitting nach § 1 Rn. 24 mwN). Eine Teil-Stattgabe kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn sich dem Antrag der begründete Teil als eigenständiges Teilziel des Verfahrens entnehmen lässt. Dies setzt voraus, dass sich der Antrag insoweit auf voneinander zu trennende und klar abgrenzbare Sachverhalte bezieht (vgl. BAG 19. Juli 1995 – 7 ABR 60/94BAGE 80, 296, 300 = AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 25 = EzA BetrVG 1972 § 43 Nr. 3, zu B II 3 der Gründe; GK-ArbGG/Dörner § 81 Rn. 38).

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2. Die vom Betriebsrat behauptete Verpflichtung der Arbeitgeberin besteht nicht in allen erfassten Fallgestaltungen. Der Antrag enthält auch keinen hinreichend abgrenzbaren begründeten Teil.

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a) Ein genereller Anspruch des Arbeitnehmers darauf, bei jedem mit dem Arbeitgeber geführten Gespräch ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen, folgt aus dem Betriebsverfassungsgesetz nicht. Vielmehr regeln § 81 Abs. 4 Satz 3, § 82 Abs. 2 Satz 2, § 83 Abs. 1 Satz 2 und § 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG das Recht des Arbeitnehmers auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds jeweils bezogen auf bestimmte Gegenstände und Anlässe. Aus diesem gesetzlichen Zusammenhang folgt im Umkehrschluss, dass der einzelne Arbeitnehmer keinen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch darauf hat, zu den von diesen Vorschriften nicht erfassten Personalgesprächen ein Mitglied des Betriebsrats hinzuzuziehen.

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b) Auch für Personalgespräche über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags begründet das Betriebsverfassungsgesetz keinen allgemeinen Anspruch des Arbeitnehmers auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds. Ein derartiger Anspruch folgt insbesondere nicht aus § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Vielmehr kommt es auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls an.

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aa) Das Recht des Arbeitnehmers nach § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist begrenzt auf Gespräche über die in § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG genannten Gegenstände (vgl. BAG 24. April 1979 – 6 AZR 69/77AP BetrVG 1972 § 82 Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 82 Nr. 1, zu II 3 a der Gründe; Fitting § 82 Rn. 12; Wiese GK-BetrVG § 82 Rn. 20; aA HSWG § 82 Rn. 6; DKK-Buschmann § 82 Rn. 12). Dies folgt insbesondere aus der Systematik der Vorschrift. Das Hinzuziehungsrecht ist innerhalb des § 82 BetrVG nicht in einem eigenen Absatz, sondern in Satz 2 des Absatzes 2 geregelt. Damit beschränkt es sich ersichtlich auf die zuvor in Satz 1 dieses Absatzes genannten Gegenstände. Diese Beschränkung findet ihre Entsprechung in den unter B II 2 a) genannten Vorschriften, in denen das Hinzuziehungsrecht ebenfalls auf bestimmte Anlässe bezogen ist.

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Das Erörterungsrecht nach § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG dient dazu, dem Arbeitnehmer eine realistische Einschätzung darüber zu ermöglichen, wie seine Leistungen eingeschätzt werden und welche Entwicklungschancen er im Betrieb hat. Zugleich erhält er die Gelegenheit, etwaigen Fehlbeurteilungen entgegenzutreten und seine eigenen beruflichen Entscheidungen bis hin zu einer möglichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses an der Bewertung seiner Leistungen und den betrieblichen Aufstiegschancen zu orientieren (Wiese GK-BetrVG § 82 Rn. 15; Thüsing in Richardi BetrVG § 82 Rn. 12). Insoweit ergänzt § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die im Bereich der Personalplanung dem Betriebsrat eingeräumten Beteiligungsrechte (vgl. Thüsing aaO). Die Erörterung der Perspektiven der beruflichen Entwicklung des Arbeitnehmers hat daher möglichst umfassend unter Berücksichtigung der individuellen Leistungen einerseits und der betrieblichen Situation sowie der Personalüberlegungen des Arbeitgebers andererseits zu erfolgen (vgl. Wiese aaO § 82 Rn. 18). Dies schließt auch negative Beurteilungen des Arbeitgebers und die Erläuterung des Fehlens von beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten im Betrieb ein.

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Durch das Recht auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds nach § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG wird das in § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG normierte Erörterungsrecht gestärkt. Das Betriebsratsmitglied soll dem Arbeitnehmer bei dem Gespräch beratend zur Seite stehen können. Durch die Teilnahme soll ein etwa vorhandenes intellektuelles Übergewicht des Arbeitgebers ausgeglichen oder abgemildert werden (vgl. BAG 23. Februar 1984 – 6 ABR 22/81AP BetrVG 1972 § 82 Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 82 Nr. 2, zu III der Gründe; Thüsing in Richardi BetrVG § 82 Rn. 14). Auch kann dem hinzugezogenen Betriebsratsmitglied eine wichtige Kontroll- und Korrekturfunktion zukommen. Für den Arbeitnehmer wird es häufig von erheblicher Bedeutung sein, ob das Betriebsratsmitglied die Leistungsbeurteilung und die Darstellung der betrieblichen Entwicklungschancen bestätigt oder entsprechend den ihm zur Verfügung stehenden Informationen korrigiert. Schließlich wird durch die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds auch dafür gesorgt, dass für den Arbeitnehmer bei der Unterredung eine Person seines Vertrauens als Zeuge zugegen ist (vgl. BAG 23. Februar 1984 aaO). Dies kann insbesondere dann, wenn auf Seiten des Arbeitgebers Personen an dem Gespräch teilnehmen, die später als Zeugen zur Verfügung stehen, aus Gründen der “Waffengleichheit” von nicht unerheblicher Bedeutung sein (vgl. dazu EGMR 27. Oktober 1993 – 37/1992/382/460NJW 1995, 1413; vgl. auch Schreiber Anm. zu BAG AP BetrVG 1972 § 82 Nr. 2).

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Für den Anspruch nach § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG genügt es, wenn die Gesprächsgegenstände zumindest teilweise identisch mit den in § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG genannten Themen sind. Nicht erforderlich ist daher, dass es sich ausschließlich um die in § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG genannten Gegenstände handelt (vgl. BAG 24. April 1979 – 6 AZR 69/77AP BetrVG 1972 § 82 Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 82 Nr. 1, zu II 2 der Gründe). Ebenso wenig kommt es darauf an, wer den Anlass für das Gespräch gegeben oder dieses verlangt hat. Das Recht des Arbeitnehmers auf Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds wird daher nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Arbeitgeber die Erörterung mit dem Arbeitnehmer sucht (vgl. BAG 24. April 1979 – 6 AZR 69/77 – aaO; Wiese GK-BetrVG § 82 Rn. 20; Thüsing in Richardi BetrVG § 82 Rn. 15). Dies entspricht Sinn und Zweck des Anspruchs, hängt es doch häufig von Zufälligkeiten ab, ob der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer die Initiative zu einem Gespräch über die Themen des § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ergreift.

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bb) Hiernach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Arbeitnehmer habe nach § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG kein Recht, ein Betriebsratsmitglied zu einem Personalgespräch über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags hinzuzuziehen, da es hierbei nicht um die weitere Entwicklung des Arbeitnehmers im Betrieb, sondern um sein Ausscheiden gehe, in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Ebenso wenig ist aber die Auffassung des Betriebsrats richtig, der Arbeitnehmer könne nach § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG bei jedem Personalgespräch über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds verlangen. Entscheidend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls.

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Personalgespräche über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags werden häufig zumindest auch Themen iSv. § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zum Gegenstand haben. In der Praxis wird es jedenfalls dem Arbeitnehmer oft nicht nur um die Modalitäten des Ausscheidens, sondern bereits darum gehen, ob er sich überhaupt auf den Abschluss eines Aufhebungsvertrags einlässt. Dabei können für ihn sowohl die Beurteilung seiner Leistungen als auch die etwa noch vorhandenen Möglichkeiten einer beruflichen Entwicklung im Betrieb – und sei es zu geänderten oder gar schlechteren Bedingungen – von Bedeutung sein. Das Personalgespräch wird sich in diesen Fällen oft gar nicht auf die Ausscheidensvereinbarung beschränken lassen. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber das Gespräch mit dem erklärten und ausschließlichen Ziel der Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Auch in diesem Fall hat der Arbeitnehmer nach § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG regelmäßig einen Anspruch darauf zu erfahren, wie seine bisherigen Leistungen beurteilt werden und warum es für ihn keine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten im Betrieb mehr geben soll. Dabei kann es gerade hierbei von besonderer Bedeutung für ihn sein, ob ein hinzugezogenes Betriebsratsmitglied die Beurteilung des Arbeitgebers teilt oder dieser entgegentritt.

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Andererseits sind auch Fallgestaltungen denkbar, in denen bei einem Gespräch über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags nicht mehr sinnvoll über die Leistungsbeurteilung oder die weitere berufliche Entwicklung des Arbeitnehmers im Betrieb gesprochen werden kann. So ist etwa bei einer vollständigen Betriebsstilllegung nicht erkennbar, dass Personalgespräche, die aus diesem Anlass geführt werden, noch die Themen des § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zum Inhalt haben könnten.

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Ebenso sind Fallgestaltungen denkbar, in denen schon bei vorangegangenen Personalgesprächen, ggf. sogar unter Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds, Leistungsbeurteilungen und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten im Betrieb erschöpfend erörtert worden sind und es bei dem Gespräch über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags tatsächlich nur noch um dessen Modalitäten geht. Zumindest in solchen Fällen begründet § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG keinen Anspruch auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds.

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Schon weil sich die Fallgestaltungen, in denen der Arbeitnehmer nach § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zu einem Personalgespräch über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags verlangen kann, von denjenigen, in denen ein solcher Anspruch nicht besteht, nicht generell hinreichend deutlich voneinander abgrenzen lassen, kann dem Antrag des Betriebsrats auch nicht teilweise stattgegeben werden. Vielmehr ist er insgesamt als unbegründet abzuweisen.

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c) Andere betriebsverfassungsrechtliche Anspruchsgrundlagen als § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG bestehen für den Anspruch auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zu einem Personalgespräch über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags nicht. Ein Anspruch folgt insbesondere weder aus § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG noch aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Die sich danach ergebenden Überwachungspflichten des Betriebsrats begründen keine über die §§ 81 ff. BetrVG hinausgehenden betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsansprüche der einzelnen Arbeitnehmer oder des Betriebsrats selbst (vgl. dazu etwa BAG 28. Mai 2002 – 1 ABR 32/01BAGE 101, 216, 225 f., 229 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 39 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 29, zu B I 3 b bb und B I 6 der Gründe mwN).

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